Wer den Meisenplatz kennt, weiss auch, dass frühmorgens und an Werktagen
Velos vor dem Fahrradgeschäft in einer Reihe bereitstehen. Seit 32 Jahren
gehört er zu Edi Kägi, dem Elgger, der sich mit zweirädrigen Transportmitteln
bestens auskennt − obwohl er nie von einem eigenen Bikeshop träumte.
ELGG Der Hype um das Fahrrad ist seit dem Lockdown aus allen Nähten geplatzt.
Ziemlich praktisch, wenn der richtige Fachmann direkt im Dorfkern zur Seite steht.
Edi Kägi und sein zweiköpfiges Team sind die Veloexperten, wenn es um die
richtigen Räder und Gewinde geht. Und das alles, obwohl sich der einst gelernte
Schreiner die Selbstständigkeit nie zutraute. Kägi zog mit 12 Jahren von
Unterschneit nach Elgg. Als Bauernsohn war die Mitarbeit auf dem elterlichen Hof
selbstverständlich. Als er mit 16 plötzlich mehr Freizeit übrighatte, schloss er sich
dem Veloclub Elgg an und besorgte sich sein erstes Rennrad. Kurz darauf begann er mit
Radrennen und erlangte mit 26 Jahren die Qualifikation als Berufsradrennfahrer. Als
Profi war er stets auf Axe, ständig per Auto oder Flug im nächsten Domizil bereit, um
am Rennen anzutreten – um die 70 Wettkämpfe pro Saison.
Doch im Alter von 27 Jahren traf Edi Kägi eine lebensverändernde Entscheidung: Er
kam zum Glauben an Jesus Christus und ordnete daraufhin die Prioritäten in seinem
Leben völlig neu. Er erkannte, dass ein Leben als Radprofi, bei dem man
vollberuflich auf Strassen in Europa und Amerika unterwegs ist, nichts mehr für ihn
ist. So beendete er schon nach zwei Jahren seine Profikarriere.
«Was hältst du davon, wenn …»
Heute baut er neu eingetroffene Velos zusammen, kümmert sich um Reparaturen,
bildet Lehrlinge aus und führt Kundengespräche. Vor knapp 20 Jahren führte er
zusammen mit seiner Frau die Velobörse ein und ist immer noch begeistert, wie gut
diese bei den Leuten ankommt und bedankt sich für die Kundentreue. Doch in die
Selbstständigkeit ist er, einfach so, reingerutscht. «Jemand fragte mich, ob wir
zusammen trainieren könnten, es gäbe ausserdem noch was zu besprechen»,
erzählte der 62-Jährige, der damals bereits Vater war.» Als dieser ihn am
darauffolgenden Tag fragte, ob er seinen Veloladen übernehmen wolle, antwortete
Kägi: «Nein, niemals!» Doch schon zwei Tage später wurde ihm angeboten, dass er
zu einem kleinen Angestelltenlohn eine Ausbildung machen und dann den Laden
übernehmen könne. Kägi verstand dies als Führung Gottes und sagte zu.
Seit 32 Jahren
Der heutige Laden ist nun seit 32 Jahren in seinen Händen und er geht immer noch
gerne zur Arbeit. Das Geschäft boomte mit Mountainbikes, als er einstieg. Damals
mit etwa 50 Rädern, heute gehören im fast 200 Quadratmeter grossen Laden an der
Meise fast vier Mal so viel Räder zum Sortiment. Seit etwa acht Jahren gehören
Fahrräder mit E-Motoren zum Standard. Damit ausgestattet ist etwa die Hälfte in
Kägis Laden. Der derzeitige Trend liegt bei leichten E-Mountainbikes oder E-Rennvelos,
denn es sind leichtere Motoren auf dem Markt erschienen. Auch die
meisten von Kägis Kunden verlassen mit einem elektrischen Velo auf der Quittung
die Ladentheke. Technischen Fortschritten gegenüber ist er immer offen.
«Es gibt jedes Jahr etwas Neues, vieles läuft bereits jetzt über Smartphones, sei es,
um zu schalten oder Licht und Sattelhöhe zu verstellen.» Und eine ganze Generation
konnte dank den Fahrrädern mit Motoren wieder in die Gänge
kommen. «Viele sind erneut fähig, die abgelegeneren Bergrestaurants zu besuchen.
Vor dem E-Bike-Boom sah man nur wenige, mit grauen Haaren.» Er empfiehlt das
Fahrrad jetzt in den Winterservice zu bringen, damit es nächsten Frühling wieder
startklar ist.
Die Reise zur Gesellschaft, die am Rande steht
Spendenaktionen sind überlebenswichtig. Die Ukraine ist zurzeit auf mehr Hilfe denn
je angewiesen. Vor ein paar Jahren nahm Edi Kägi zweimal als Helfer an einer
«Päckli-Aktion» für die Ukraine teil, bei der nicht nur Hilfsgüter verteilt werden,
sondern wo auch die Evangeliumsbotschaft verkündigt wird. Jedes Jahr um die
Weihnachtszeit machen sich Freiwillige auf den langen Weg in den Westen des
Landes; dabei transportieren sie bis zu 40 Tonnen Spenden. Kägi wurde damals
angefragt und war von der Idee begeistert, vor Ort zu sehen, wo Hilfspakete, die mit
Lebensmitteln und Kleidern gefüllt waren, übermittelt werden. Die Reise begann in
München, dauerte einen Tag und war für den ärmsten Teil der Bevölkerung gedacht:
Zu Fahrenden, die vom eigenen Land ausgegrenzt werden. Sie leben in kleinen
Hütten, mit 20 Quadratmetern Wohnfläche, in denen bis zu 15 Leute ohne sanitäre
Einrichtungen leben müssen. Die Wege waren teilweise schwer zu befahren, oft
musste das Fahrzeug aus dem Schlamm befreit werden. In den Dörfern rannten
Kinder barfuss bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Es ist ihnen erlaubt, vier
Jahre die Schule zu besuchen, doch auch da werden sie von den ukrainischen
Kindern ausgegrenzt und haben so keine Chance auf Integration. Als die Pakete
verteilt wurden, sang man Weihnachtslieder, bis sich das ganze Dorf versammelte.
Es weinten die Frauen, berührt darüber, dass jemand für sie sorgt. Nach Frauenfeld
wandern ebenfalls gespendete Fahrräder des Elgger Velogeschäfts. Von da aus
verlassen sie die Schweiz und finden in Gebieten wie Moldawien, Rumänien und der
Ukraine Besitzer, die sich bestimmt darüber freuen werden.
Text: Julia Mantel
Ausgabe 12.Januar 2023 Elgger-Zeitung Nr.4
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